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Interview mit Peter Klingenburg, ehemaliger Geschäftsführer der Telekom MMS

Digitalisierung ist Revolution und Evolution

Peter Klingenburg ist erfahrener Berater in der Digitalisierung und weiß Chancen und Risiken gleichermaßen einzuschätzen. Sein Transformations-Ausblick auf das kommende Jahr.

Herr Klingenburg, digitale Transformation war ein Kernthema 2015. Behält es auch kommendes Jahr seine große Bedeutung, und welchen Bereichen müssen sich Unternehmen dann besonders widmen?

Nein, die digitale Transformation ist kein Thema mehr …

… wie bitte ..?

Ganz einfach: ein „Thema“ behandelt immer einen einzelnen Punkt oder eine Facette an Gedanken. Aber darüber sind wir hinaus. Digitale Transformation wird kommendes Jahr allgegenwärtig sein. Es wird keine zu digitalisierenden Inseln mehr geben, und es geht längst nicht mehr um Teilaspekte. Kurzum: Die Transformation ist ein ganzheitlicher Prozess.

Und was ist die Konsequenz dieser Feststellung?

Dass Unternehmen den Digitalisierungsprozess auch dementsprechend ganzheitlich angehen sollten. Nicht nur darauf schauen, welche Prozessverbesserungen sich dadurch erzielen lassen, sondern inwiefern das Ende vieler analogen Prozesse auch in das Kerngeschäft eingreift. Es gilt zu prüfen, was sich durchgängig verändert und welche Konsequenzen das auf Leistungserbringung und Kundenversprechen hat.

Gibt es denn abgesehen von diesem ganzheitlichen Ansatz Unternehmensbereiche, die besonders von der digitalen Transformation beeinflusst oder verändert werden? Wo sehen Sie da akuten Handlungsbedarf?

Ganz klar, das Internet of Things liegt da ganz weit vorne. Es bringt die ultimative Fallhöhe und die höchste Geschwindigkeit mit sich. Da wird sich Prinzipielles verändern. Wer das versteht, hat auch das Potenzial diese Märkte zu erobern. Die Grundprämisse dabei ist, dass Milliarden von Geräten mit eigenständiger Kommunikationsfähigkeit versehen werden, sozusagen ein eigenes Leben bekommen, eine eigene Sensorik. Beispiel Connected Car: Wenn sie heute auf die Bremse ihres Autos treten, dann ist das lediglich ein Signal an den Bremskraftverstärker. Morgen bereits können damit aber gleich zahlreiche weitere Befehle mit verknüpft sein: eine Info für die Werkstatt oder an ihre Versicherung. So genannte Pay-as-you-drive-Policen sind ja bereits existent, bei denen man für sanftes Fahren belohnt wird.

Warum tun sich aber viele Unternehmen noch so schwer mit dem Thema, woher rührt die große Unsicherheit?

Weil die Auswirkungen so gewaltig sind. Große Märkte splitten sich in Teilmärkte, die Karten werden neu gemischt, die Rollen ändern sich. Unternehmen brauchen deshalb neue Kompetenzen, die überall reinstrahlen: in das Verhältnis zu Kunden, Partnern, Geschäftsmodellen und Geschäftsprozessen. Es ist ein großer Schritt der Weiterentwicklung, der da gegangen werden muss. Und – last but not least – haben wir in nahezu jedem Segment des Internets der Dinge eine Sicherheitskomponente, die reinspielt. Denn durch den dabei entstehenden intensiven Datenaustausch bekommt IT-Sicherheit eine ganz neue Bedeutung.

Wenn man ihren Ausführungen folgt, ist der Begriff „Digitale Transformation“ dann nicht falsch? „Digitale Revolution“ wäre doch passender?

Teilweise. Wir erleben sowohl Revolution als auch Evolution, kleine Schritte aber auch große Sprünge. Wenn ich nochmal mein Beispiel des Connected Cars bemühen darf: Wenn von außen mit der Bremse meines Autos kommuniziert werden kann, dann ist sehr schnell zu klären, wer für die Sicherheit des Gesamtfahrzeugs und für dessen Fehler verantwortlich ist. Denn rein theoretisch könnte es ja sein, dass dann auch jemand von außen die Bremse auslösen kann. Dann habe ich als Hersteller natürlich sofort eine weitere Sicherheitsproblematik im Auto. So können relativ kleine Errungenschaften mitunter eine große, ja revolutionäre Auswirkung haben.

Sicherheit ist die eine bedeutende Stellschraube. Mit welchen Hindernissen und Wagnissen muss bei der Umsetzung der Digitalen Transformation denn noch gerechnet werden?

Die größte Herausforderung ist sicher, den optimalen Zeitpunkt der Eigenkalibrierung zu finden. Die meisten Unternehmen müssen ja ihr Bestandsgeschäft sichern aber gleichzeitig ihre Geschäftsmodelle ändern und die Prozesse an die digitale Welt anpassen.

Und wie ermittelt man diesen Wendepunkt bestenfalls?

Keine Frage, man muss das eingehen, was Ökonomen als „Smart Risk“ bezeichnen. Es ist ein Konsequenzen-Geflecht aus Handlungen, eigenen Erfahrungen und Risikoabschätzung. Erwünschte und unerwünschte Effekte sind vorab zu bestimmen. Zudem muss man sich fragen, wie grundsätzlich der digitale Wandel in der eigenen Organisation ausfallen wird. Und muss man auf Grundlage dieser Informationen eine Entscheidung treffen - eben ein unternehmerisches Risiko eingehen und vor allem gilt es, danach wachsam zu sein und auf die Ergebnisse des eigenen Handelns zu reagieren.

Sie haben Zukunftseffekte bereits angesprochen. Auf was müssen sich Unternehmen in den kommenden Jahren hinsichtlich der digitalen Transformation noch einstellen?

Nicht nur Unternehmen, sondern uns alle wird der Wandel im Umgang mit den eigenen Daten noch viel mehr beschäftigen. Der europäische Gerichtshof hat uns mit der Safe Harbor-Entscheidung ein Hoheitsrecht diesbezüglich eingeräumt. Zukünftig wird man also darauf achten müssen, die Balance zwischen Wertschöpfung und Persönlichkeitsrecht zu finden. Wobei die finale Entscheidung in dieser Hinsicht primär beim Endverbraucher liegen wird. Denn durch das Zusammenwachsen von privater und gesellschaftlicher Digitalisierung ändern sich auch die Gesetze der Privatheit: Wenn ein Fitnessarmband 24 Stunden privateste Dinge speichert, automatisch dem Hausarzt weiterleitet, auch deswegen eine schwere Krankheit früher oder einfacher attestiert werden kann, dann werden sich mit Sicherheit hunderttausende Menschen darauf einlassen. Das heißt aber nicht, dass man damit den Datenschutz komplett aushebelt. Es muss natürlich parallel gewährleistet sein, dass die Gesundheitsinformationen ausschließlich beim Arzt ankommen.

Datenschutz ist also eine Komponente, die immer wichtiger sein wird. Wie sieht es mit Datensicherheit aus?

Die wird genauso immer bedeutender werden. Wie auch im Internet der Dinge, so werden wir auch für alle anderen Felder der Transformation digitale Pförtner haben müssen. Ein angemessenes Maß an Sicherheit muss überall und immer präsent sein. Allerdings darf dafür die Reaktionsfähigkeit nicht auf der Strecke bleiben. Man sollte sich hierbei besonders auf das Wissen von Spezialisten verlassen, die wissen, was gut ist für das Unternehmen.

Aber wie bewahrt sich eine Organisation das, was sie Reaktionsfähigkeit nennen?

Wenn Digitalisierung Revolution und Evolution zugleich ist, dann sollte man sich darüber auch mit Fachfremden austauschen und nicht dem Tunnelblick der eigenen Branche verfallen. Denn eines ist klar: Es wird nun laufend neue Wettbewerber geben, die gestern noch niemand kannte. Und was hindert eine Krankenkasse, mal das intensive Gespräch mit einem Sportartikelhersteller zu suchen, um sich gemeinsam über Wearables auszutauschen. Man muss den Prozess des Nachdenkens neu erfinden.