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Dorothee Bär, parlamentarische Staatssekretärin und Bundestagsabgeordnete im Interview

Mehr Mut gefragt: Wir dürfen uns nicht zu Tode schützen

Frau Bär, Sie haben ein großes Herz für die Digitalisierung. Wie macht sich das im Alltagsleben als Politikerin bemerkbar?

Auch indem – kein Scherz – ein Parteifreund mal zu mir sagte: "Such dir besser ein seriöseres Thema …" Tja, die Mühlen in der Demokratie mahlen halt schon mal etwas langsamer. Noch längst nicht jeder Kollege und jede Kollegin ist von der Dringlichkeit dieses Themas so überzeugt wie ich.

Und außerhalb des Politikbetriebs, wie ist es dort um das Verständnis der digitalen Transformation bestellt?

Auf jeden Fall besser als allgemeinhin dargestellt. Die Digitalisierung ist übergreifend als Wirtschaftsfaktor angekommen, man hat verstanden. Und keinesfalls stehen wir in Deutschland erst am Anfang der Entwicklung. Es ist ebenso verstanden worden, dass wir in Europa einen starken europäischen digitalen Markt als Gegengewicht zu den USA und Asien schaffen müssen. Zugestehen muss ich aber, dass noch Aufklärungsarbeit notwendig ist …

Wo genau?

Ganz klar im Mittelstand. Diejenigen Unternehmensvertreter, die sich über die neue Konkurrenz beschweren, die kommen sowieso nicht zu unseren Veranstaltungen, die schimpfen lieber. Die anderen aber, die müssen wir erreichen. Die verstehen, dass auch sie fortan die ganze Welt als Kunden haben können. Die können nachvollziehen, dass ihnen die Gigabit-Gesellschaft Vorteile bringt. Die ahnen, dass sie von Smart Data profitieren: Wenn ein mittelgroßer Hersteller von Skiern durch Big Data-Analytics beispielsweise versteht, dass er mit seinem Angebot auf der anderen Seite der Welt Geschäfte genau dann machen kann, wenn bei uns Hochsommer ist, dann wird das unsere Wirtschaft auch nachhaltig beflügeln.

Wenn Sie den Mittelstand ansprechen: Eine große Zahl produzierender Industriebetriebe in Deutschland hat ihren Sitz außerhalb der Metropolen – nicht gerade ein starkes Argument, um Digital Natives für diese Unternehmen zu begeistern?

… die aber auch mal älter werden und sich dann über eine ausreichende Zahl an Kindergarten-Plätzen, günstigere Mieten und bezahlbare Bauplätze freuen. Digitalisierung findet auch auf dem Land statt. Darüber hinaus ist es nicht entscheidend, wo die 100-M/bit-Leitung steht, sondern dass sie steht. In der Digitalisierung kommt es auf andere Dinge an.

Und zwar ...?

Dass man das vorhandene Potenzial auch nutzt. Es ist mitunter skurril: Wir haben beispielsweise ein hervorragendes Bundesschifffahrtsamt – aber man muss es dann auch möglich machen, dass man dessen Daten nutzen kann. Ebenso sitzt der Deutsche Wetterdienst auf einem wahren Datenschatz und geht mit der Warnwetter-App den richtigen Weg. Auch deshalb halte ich sehr viel von Open Data.

Wetterdaten oder geografische Daten: Diese Art von Nutzung liegt in der Tat auf der Hand. Wie sieht es aber mit den komplexeren Szenarien der Volkswirtschaft aus, Stichwort Internet der Dinge und Industrie 4.0?

Hier müssen wir tatsächlich schauen, dass wir nicht den Anschluss verlieren. Größere Unternehmen haben eine Strategie, aber bei den kleinen und mittleren Unternehmen sieht das noch nicht sehr überzeugend aus. Manche verpassen hier sehenden Auges die weltweite Entwicklung.

Deshalb muss was genau unternommen werden?

Ganz klar, eine digitale Agenda zu haben, reicht nicht. Es braucht mehr Kooperationen, mehr Investitionen. Und wenn bestimmte Organisationen und Forschungsbereiche stolz sind auf Plattformen zum Thema, dann muss ich sagen, dass davon auch konkrete Maßnahmen ausgehen müssen. Und diese Initiativen – da nehme ich mich als Politikerin gerne auch selbst in die Pflicht – finden noch nicht mit dem richtigen Tempo statt. Wenn ich als Mitglied des Bundestags und nicht als Regierungsvertreterin sprechen darf, dann muss ich festhalten, dass wir bei der Digitalisierung immer eine Legislaturperiode zu spät dran sind. Wir benötigen unbedingt mehr konkrete Handlungsanweisungen, mehr Lösungsansätze, mehr reale Anwendungsfälle und letztlich auch mehr Spaß an der Innovation.

Wie geht man das an, Spaß an der Innovation?

Indem man mit positiven Anwendungen begeistert. Beispielsweise in der Gesundheitswirtschaft gibt es wunderbare digitale Anwendungsfälle, bei denen man im hohen Alter noch selbstbestimmt im eigenen Haus leben kann. Oder das Thema Barrierefreiheit: Hier bietet es sich an, das Thema mit Blinden- und Sehbehinderten-Verbänden plastischer zu machen.

Freude ist das eine – Sorge das andere. Gerade in punkto Sicherheit mehren sich ja die kritischen Stimmen, die vor den Risiken der Digitalisierung warnen …

Das darf man nicht überbewerten. Richtig ist, dass Datenschutz und Datensicherheit eine wichtige Rolle spielen. Und richtig ist ebenfalls, dass wir Deutsche diese Themen fokussieren. Wir dürfen uns dabei aber nicht zu Tode schützen.

Den richtigen, sicheren Umgang mit der Digitalisierung sollten ja eigentlich bereits die Kinder in der Schule lernen. Sie machen sich in diesem Segment sehr stark für entsprechenden Unterricht...

Absolut, und wenn ich Schulen besuche, bin ich mitunter geschockt, weil ich gedacht habe, wir wären bereits einen Schritt weiter. Anstatt den Kindern den adäquaten Umgang mit einem Laptop zu erklären oder ihnen näherzubringen, zu was ein Roboter heutzutage in der Lage ist, gibt es sowohl Eltern als auch Lehrer, die sich sogar noch rühmen, dass die Kinder vor 12 Jahren kein digitales Gerät bedienen dürfen. Auf der anderen Seite bin ich Schirmherrin einer Mädchenrealschule bei uns in Bayern, da darf keine Absolventin die Schule verlassen, ohne Grundkenntnisse im Programmieren zu haben. Mich erinnert diese Anti-Haltung sehr stark an die leidige Diskussion über Computerspiele: Woanders fordert man, dass E-Sport olympisch wird, und wir sehen nur das Negative.

Dann sehen wir es mal positiv: Welche konkreten Stellschrauben können Sie sich denn konkret in der Politik vorstellen, damit die Digitalisierung mehr Fahrt aufnimmt?

Der erste Schritt muss in der Schule stattfinden. Man muss dort die Wissensbegierde der Kinder fördern und Digitales unterrichten. Wir brauchen, zweitens, an die Digitale Transformation angepasste Gesetze. Wir machen beispielsweise sehr viel für den deutschen Film, fördern aber die digitale Transformation mit verschwindend geringen Mitteln, da muss mehr passieren. In finanzieller Hinsicht, aber auch mit ideeller Unterstützung.

Letzte Frage, Frau Bär, das ist Ihre Chance: Brauchen wir ein Digital-Ministerium?

Ja. Wir hatten ja mal bereits ein Zukunftsministerium, und ein Ministerium für Digitales ist aus heutiger Sicht noch dringlicher.

 

Über die Expertin

Dorothee Bär (CSU) ist seit 2002 Bundestagsabgeordnete und seit 14. März 2018 Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Die Diplom-Politologin beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit Themen der digitalen Transformation und plädiert für die Vermittlung digitaler Kompetenz bereits in der Schule.