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Interview mit Hanno Harland, ehemaliger Konzernentwickler bei der Deutschen Bahn (bis 2017)

Das digitale Ohr an der Schiene haben

Herr Harland, Ihr Unternehmen ist das größte Eisenbahnverkehrs- und Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen in Mitteleuropa. Und es nimmt, wenn man sich die offizielle Webseite startuprelations.deutschebahn.com anschaut, seine Rolle als Förderer von Jungunternehmen sehr ernst. Aber warum findet man beispielsweise dort auch ein Start-up, das eine Art Packstation für Frisch-Lebensmittel erfunden hat?

Harland: Sehen Sie, das trifft genau den Kern unserer Bemühungen. Auch wir als Deutsche Bahn haben erkannt, dass in der Digitalisierung ausschließlich die kundenzentrische Sicht zählt. Die Zufriedenheit des Kunden steht an erster Stelle. Warum sollte z. B. unser Service aufhören, wenn die Kunden den Bahnhof verlassen? Erstens, wäre das nicht mehr zeitgemäß. Zweitens sind wir bereits heute breiter aufgestellt, siehe etwa unser Carsharing-Angebot Flinkster oder Call-a-Bike. Das von Ihnen angesprochene Home-eat-Home ist ein weiterer Angang in diese Richtung, die Mobilität des Reisenden noch angenehmer zu gestalten. Es hat doch Vorteile, wenn man von einer Reise zurückkehrt und dann ohne auf Öffnungszeiten zu achten, schnell die leckeren Zutaten für ein schmackhaftes und gesundes Essen abholen kann. Mal eben so im Vorbeigehen. Und nebenbei steigt so die Attraktivität von Bahnhöfen, strategisch sehr relevant für unsere Tochtergesellschaft DB Station&Service.

… die Deutsche Bahn als Catering-Anbieter ...?

Warum nicht. Das Sind wir doch bereits seit langem, oder haben Sie noch nie unsere Bordgastronomieangebote genutzt? Dem Kunden ist es zu Recht völlig egal, wie etwas passiert, oder wer ihm einen Service anbietet. Kunden erwarten einfachen, schnellen und professionellen Service bei der Erreichung Ihrer Ziele. Das sind Gesetzmäßigkeiten der digitalen Transformation – und daran halten wir uns, wie auch an andere …

 … welcher Art ...?

… indem wir uns öffnen und Daten externen Partnern preisgeben. Wir haben ein Open-Data-Portal online gestellt und geben z. B. Fahrplanauskünfte- & und Bahnsteigdaten, unser Betriebsstellenverzeichnis oder Aufzugsdaten frei. Über entsprechende Schnittstellen können technikaffine Unternehmen und Start-ups wiederum spannende Geschäftsmodelle entwickeln.

Und warum tun sie das nicht selbst?

In einem Großkonzern mit mehr als 300.00 Mitarbeitern ist man auch ein Stück weit in seinen Strukturen gebunden. Deshalb betreiben wir Innovation sowohl intern als auch extern mit pfiffigen Ideen und wendigen Start-ups.

Können Sie uns ein Beispiel dieser Ideen geben?

Gerne, etwa unser Startup SIUT. Dieses vereint Beton und Glasfasertechnologie und bringt so Beton gezielt zum Leuchten. Auf Basis unserer Expertise und Daten arbeiten wir nun zusammen daran, dass die Wagenreihung, Wagenauslastung oder andere nutzwertige Informationen bereits vor Eintreffen des Zuges für den Bahnreisenden auf dem Bahnsteigboden illuminiert dargestellt werden.

Das klingt in der Tat spannend. Welches sind dann aber die Voraussetzungen, dass ich von der Bahn als Start-up gefördert werde und mitunter ja auch ein akzeptables Fördergeld bekomme?

Unser übergeordnetes Relevanz-Kriterium ist der Mehrwert für den Kunden. Grundsätzlich aber gilt: Das Gründerteam muss eine Idee entwickeln, diese bei uns in der DB mindbox pitchen und bei Aufnahme in das Acceleratorprogramm in der Lage sein, innerhalb von 3 Monaten einen Proof of Concept zu entwickeln. Mitunter sind die technologischen Zusammenhänge dabei hoch spannend.

Verraten Sie es gerne!

Unter dem komplexen Namen „Weichenhohllagemessung“ verbirgt sich etwa eine Sensorik, die das Einsinken der Schienen bei einer Zugüberfahrt misst. Wenn ein gewisser Schwellwert überschritten wird, kann dieses wartungsrelevant werden. Also eine Form der Predictive Maintenance. Ein anderes Projekt, an dem wir mit dem Startup Senvisys forschen, ist eine Schwingungsmessung. Aufgrund der Ausbreitung des Schalls in der Schiene lässt sich die Position eines fahrenden Zuges präzise bestimmen. Genauer als es die derzeitigen Messverfahren leisten können. Im Ergebnis bedeuten beide Verfahren geringeren Wartungsaufwand, pünktlichere Züge und bessere Kundeninformationen. Wir können unser Streckennetz besser auslasten und sind bei etwaigen Verzögerungen schneller im Bilde. Ziel erreicht also durch moderne Industrie 4.0-Technologien.

Wenn Sie von einem Ziel sprechen – Gibt es dann auch sozusagen eine „Endstation“ in Ihren Planungen?

Nein. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mit unserem Programm DB mindbox die Bahn auf den Kopf stellen dürfen und uns infolgedessen dankenswerterweise mit allen Technologien beschäftigen können. Zwar keine Endstation aber ein langfristiges Ziel von uns ist die moderne integrierte Mobilitätskette. Dieses umfaßt auch Themen wie autonomes Fahren, mit welchem sich unsere Kollegen beschäftigen. Fakt ist, die Digitalisierung wird nicht nur den Personenverkehr verändern, sondern auch den güterbezogenen und somit gravierenden Einfluß auf die Deutsche Bahn insgesamt haben. Wir sehen darin aber auch die enorme Chancen. Der Warenumschlag am Bahnhof bietet z. B. noch großen Spielraum für die digitale Transformation. Das kann dann zum Beispiel die Digitalisierung der Schließfach-Infrastruktur sein, die wir dann als „Infrastructure as a Service“ anbieten können.

Wenn Sie vor allem mit Start-ups für derlei zukünftige Entwicklungen kooperieren: Wie gestalten Sie diese Zusammenarbeit?

Erstens haben wir den Anspruch immer auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Zweitens sind wir bestrebt, die jungen Unternehmen eng an uns zu binden und langfristig mit ihnen zu kooperieren. Dafür bekommen Sie eine dedizierte Betreuung durch uns. Eine Herausforderung ist es, den Start-ups die Freiheit zu lassen und fern von unseren oft komplexen Prozessen zu halten. Etwa derart, dass sie mit uns ein schlankes Regelwerk unterzeichnen und wir bemüht sind, die Verträge nicht ausufern zu lassen. Denn eins ist uns klar: Wenn man digitale Geschäftschancen nutzen will, dann muss man schnell arbeiten können und moderne Arbeitswelten schaffen. Dass wir das ganz gut hinbekommen, sehen Sie auch an dem breiten Portfolio unser Start-ups auf unserer Website. Denn mitunter sind die Ideen bereits so weit gereift, dass unsere Kunden schon darauf zurückgreifen können, wie zum Beispiel eMio.