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Interview mit Lars Vogel, Director New Work Experience bei der Telekom MMS

Virtuelle Revolution in der Industrie

 

Erfahren Sie, wie Industrieprozesse durch Technologien wie Augmented- und Virtual Reality effizienter gestaltet werden können!

Herr Vogel, Augmented- und Virtual-Reality - da denkt der Normalverbraucher sicher an komplexe Spielewelten oder andere Unterhaltungs-Gadgets. Aber warum werden diese Technologien gerade auch im B2B-Kontext und vor allem hinsichtlich Industrie 4.0 so heiß diskutiert?

… weil es prozessverändernde Technologien im Zeitalter der Digitalisierung sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nehmen wir exemplarisch einen Flugzeughersteller. Er möchte seinen Kunden vor Produktionsstart und Auslieferung eine Begehung neuester und noch nicht erbauter Modelle ermöglichen. Es ist noch keine einzige Schraube montiert, noch kein einziger Flügel zu sehen – aber die Kunden können bereits durch das Flugzeug gehen und das neue Modell im Detail kennenlernen. Produkte, die also noch gar nicht vorhanden sind oder die schwer zu teilen sind, werden auf diese Weise erlebbar gemacht. Das geht allein durch Virtual-Reality. Und das ist vielfach adaptierbar, sodass es auch auf andere Anwendungsszenarien großen Einfluss haben wird.

… und zwar …?

Beispielsweise in der Wartung, hier vereinfachen sie die Abläufe, indem sie die virtuelle Realität mit dem realen Objekt in einen Kontext bringen. Daraus entsteht dann eine deutliche Prozessoptimierung. Und das ist gerade im Umfeld Industrie 4.0 wichtig, wenn sich auf diese Weise Medienbrüche vermeiden lassen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Gerne: Wir haben zusammen mit einer Fluggesellschaft die Lösung „Aircraft Maintenance“ prototypisch entwickelt und pilotiert. In diesem Pilotprojekt kann das Wartungspersonal per Smartphone oder Tablet direkt am Fahrzeug mit allen notwendigen Informationen versorgt werden. Der Techniker bekommt alle notwendigen Unterlagen kontextsensitiv mobil zur Verfügung gestellt und zudem visualisiert, wo und wie ein Arbeitsschritt umzusetzen ist. Das ist besonders bei unvorhergesehenen Vorfällen, die nicht planbar sind, interessant.

Wie funktioniert das?

Bei der Augmented-Reality-Anwendung nimmt der Servicetechniker Details des Flugzeuges zunächst mit der Kamera eines Tablets oder eines Smartphones auf. Bei Bedarf können auch Fachexperten per Webkonferenz hinzugezogen werden. Die Augmented-Reality-Lösung ermöglicht die hochqualitative, effiziente und schnelle Wartung bei gleichzeitig geringerer Fehlerquote.

Warum ist diese Wartung schneller und effizienter?

Sind die Mitarbeiter mit Datenbrille oder dem Surfpad unterwegs, dann fallen Rüstzeiten weg. Und es lassen sich auch Rückfragen vermeiden, da diese Geräte kontextsensitiv sind. Die Anwendung verknüpft die Aufnahme über die Cloud mit 3-D-Animationen, Videos und CAD-Daten. Der Techniker erhält daraufhin entsprechende Zusatzinformationen in Echtzeit, die in das Kamerabild des Flugzeugteils auf dem mobilen Endgerät passgenau eingeblendet werden. Zudem gibt die Anwendung die einzelnen Wartungsschritte anhand von Stichpunkten vor. Der Mitarbeiter öffnet beispielsweise eine Abdeckung und blickt einfach auf einen QR-Code oder eine Seriennummer, schon weiß die Datenbrille, wo er ist und welches Gerät er sich gerade anschaut. Eine andere Möglichkeit ist, das zu wartende Gerät über iBeacon Technologie zu identifizieren. Und schließlich ganz modern sind markerlose Technologien wie Edge based Tracking.

… die wie funktioniert?

Jede Sache hat ja eine charakteristische Form. Diese erkennt die Brille. Das muss man sich etwa so vorstellen wie eine biometrische Gesichtserkennung.

Das klingt gut, aber: Sind wir denn technologisch überhaupt schon so weit, derlei Technologien problemlos im unternehmerischen Alltag einsetzen zu können?

Teilweise ja. Es existieren meiner Meinung nach drei erfolgskritische Kategorien. Erstens: die Hardware. Datenbrillen der ersten Generation werden bisweilen sehr heiß und bringen noch nicht die maximale Leistung. Und ein als herausragend angekündigtes Produkt wie die „Microsoft HoloLens“ muss sich erst in der Praxis beweisen. Zudem besteht, zweitens, noch Optimierungsbedarf bei den Trackingtechnologien. Diese funktionieren nicht immer und haben manchmal bei Lichteinfall und damit mit Schattenbildung Probleme. Dann sind die Kanten nicht klar erkennbar und das Gerät ist somit nicht klar zu identifizieren. Oder der QR-Code: Man kann ja nicht überall einen Sticker draufkleben. In heißen oder sehr kalten Umgebungen beispielsweise. Schließlich, dritter Punkt, fehlt es noch an einer umfassenden Datenbasis – und das ist aus meiner Sicht die kritischste Komponente …

… warum ..?

Eine gut strukturierte, elektronisch vorhandene Datenbasis ist das A und O. Bei neueren Maschinen etwa ist das kein Problem. Da sind alle Daten in der Regel auch im CAD vorhanden. Ältere Dinge, Geräte und Maschinen stellen eher eine Herausforderung dar. Hier gibt es oft nur gedruckte Dokumentationen, die im Optimalfall vielleicht mal zum PDF eingescannt wurde, aber deren Inhalt nicht verschlagwortet und elektronisch erfasst wurde. Zudem wird die Industrie sicher auch das altbekannte Problem der Standards in den Griff bekommen müssen. Und es ist aus heutiger Sicht zumindest fraglich, ob wirklich alle Hersteller ihre technischen Dokumentationen gewissermaßen zu Open Source erklären werden. Es existieren zwar bereits einige Konsortien und Standards, aber das zentrale Portal, in dem alle Dokumentationen elektronisch vorliegen, ist noch eine Vision. Ein Traum wäre es -und Bemühungen in dieser Richtung gibt es bereits –, dass diese Dokumentationen im Betriebssystem einer Maschine ab der ersten Lebensminute bereits integriert sind.

Gesetzt den Fall, das wird aber irgendwann geklärt sein, was ist noch alles möglich?

Stellen Sie sich mal Trainings vor, das geht alles viel schneller. Die Datenbrille ergänzt an den notwendigen Stellen, gibt Kontext, unterstützt: Sie müssen sich nur den bestimmten Bereich einer Maschine anschauen und schon können Sie Hilfe anfordern, vielleicht ein erläuterndes Video, das dann in der Brille abläuft. Nehmen Sie beispielsweise den Fabrikarbeiter, der Teile an einer sehr teuren Platine montiert. Heute gibt ihm eine Schablone vor, an welcher Stelle er den Laser positionieren soll. Morgen aber markiert ihm seine Datenbrille sehr genau, wo er die Bohrung ansetzen muss. Das reduziert die Zahl der Prozess-Schritte und verringert potenzielle Fehlerquoten. Und das gilt sicher nicht nur für die Produktion, sondern beispielsweise auch in der Logistik. Letztlich haben diese Verfahren auch großen Einfluss auf bestehende Berufsbilder.

Beispielsweise wo?

Denken Sie an den klassischen Bauzeichner, der wird früher oder später ausgestorben sein. Da fand in der jüngeren Vergangenheit bereits eine Ergänzung seiner Tätigkeit, etwa durch CAD, statt. Früher oder später wird die Virtual-Reality-Brille einen großen Teil dieser Tätigkeit ablösen.

Verstanden: Wie kann ich mich aber als Unternehmen darauf bestmöglich vorbereiten?

Indem ich von einer anderen Fragestellung als sonst üblich ausgehe. In der Regel sind Unternehmen durch Pain Points bestimmt. Etwas bedrängt Sie, darauf müssen sie reagieren. Hier aber ist es umgekehrt. Hier ist zuerst eine Technologie entstanden, die sozusagen einfach da ist. Also muss man sich fragen: „Wie kann mich diese Technologie unterstützen, was kann diese Technologie für mich tun?“ Darüber hinaus gibt es auch einige ganz praktische Erwägungen …

Als da wären?

Virtual- und Augmented-Reality dürfen nicht als Selbstzweck im Unternehmen eingeführt werden, sie sind immer nur Mittel zu Zweck. Klar mag da auch der Spieltrieb eine Rolle spielen, aber sie müssen immer eine hohe Zweckdienlichkeit haben. Und wenn die Brille Kopfschmerzen bereitet oder behindert, dann muss man sich Alternativen überlegen. Denken Sie beispielsweise an Piloten, hier kann die Brille nur unterstützend sein, sie darf zu keiner Sekunde lästig fallen, das ist also ein begrenztes Szenario. Aber: In den anderen von mir geschilderten Situationen, da können sie davon ausgehen, dass Augmented- und Virtual-Reality Prozesse revolutionieren werden.