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Interview mit Felix Voigt, ehemaliger Head of Commerce and Configuration bei der Telekom MMS (bis 2017)

Digitalisierung im B2B:
„Zehn Tonnen Stahl so einfach bestellen wie ein Buch“

 

Die Digitalisierung mit dem Ziel, Prozesse und Systeme zu vernetzen und damit effizienter zu gestalten, ist aktuell die Mammutaufgabe, vor der Unternehmen stehen. E-Commerce hat daran einen signifikanten Anteil. Denn integrierter, digitalisierter B2B-Commerce hat das Potenzial, komplexe Geschäftsprozesse zu optimieren und damit Zeit und Kosten zu sparen.

Herr Voigt, vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen im B2B-Geschäft konkret, um entsprechende Prozesse in der eigenen Organisation in Gang zu setzen?

„Die Verzahnung einzelner, im Unternehmen häufig schon existierender IT-Lösungen ist die zentrale Herausforderung. Denn Geschäftsprozesse, die momentan noch nicht vollständig digitalisiert ablaufen, können durch integrierte Systeme wie ERP-, E-Commerce-, CRM- und PIM-Systeme unterstützt werden. Das hat nicht nur Vorteile für das einzelne Unternehmen selbst, sondern verbessert auch die Interaktion zwischen kooperierenden Unternehmen.“

Wie genau?

„Wenn ich beispielsweise im Fachhandelsvertrieb für Werkzeuge tätig bin und meine Produktpalette um Spezialwerkzeuge erweitern möchte: Dazu sollte mir mein PIM-System ermöglichen, sämtliche Informationen der Produkte des Speziallieferanten automatisch zu integrieren. Somit wird eine einheitliche Produktbasis aus meinen internen und den externen Produktdaten geschaffen.“

Worin bestehen die Vorteile der Produktintegration?

„Händler und Kunden (B2B und B2B2C etc.) können direkt auf konsistente Produkte und Produktinformationen zugreifen, d. h. mit Etablierung solcher Systeme habe ich eine einheitliche Produktdatenbasis, die für alle Ausspielkanäle (u. a. der E-Commerce-Kanal) und deren Beteiligten gleich ist. Unterschiedlichen Vertriebsmitarbeitern steht somit die gleiche Datenbasis zur Verfügung, um Produkteigenschaften zu vermitteln. Das macht es Unternehmen deutlich einfacher, ihre breiten Verkaufs- und Vertriebskanäle konsistent zu bespielen.

Mittels dieser einheitlichen, digital vorliegenden Daten und der darüber aus dem E-Commerce-System gewonnenen Informationen, wer wann was gekauft hat, wird die Grundlage für weitere Auswertungen geschaffen.
Als Beispiel: Stellt der Händler fest, dass im Monat Februar Schraubenschlüssel hohen Absatz finden, weil Ende Dezember/Anfang Januar die Möbelbranche brummt und viele Möbel ausgeliefert werden, dann kann er flexibel auf solche sich verändernden Ansprüche reagieren. Diese Informationen lassen sich über eine digitale Prozesskette deutlich schneller und einfach extrahieren. Ebenso weiß das Unternehmen dank solch einer Lösung nicht nur, wer was wann kauft, sondern auch, wie sich Produkte und deren Absatzzahlen weiterentwickeln werden. Auch daraus lassen sich wieder entsprechende Maßnahmen ableiten und in Richtung Produktentwicklung bzw. strategischer Unternehmensausrichtung zurückspielen: Auf Verkäufe folgt das Feedback, ob das, was verkauft wurde, richtig ist, die richtige Qualität hat und ob die Ware die richtigen Personen angesprochen hat.“

Welche Effekte haben solche übergreifenden digitalen Lösungen für das Marketing?

„Mit den eben genannten Analysemöglichkeiten der digitalen Prozesskette aus E-Commerce, CRM- und PIM-Systemen kann man auch das Marketing besser steuern: Man erfährt, welche Produkte sich relativ einfach verkaufen und bei welchen mehr Marketingaufwand betrieben werden sollte. Zudem erhält man umgehend Feedback, ob und wie Marketingaktionen (z. B. Produktkampagnen) beim Kunden ankommen und welche Auswirkungen sich daraus ergeben.“

Gibt es noch andere Unternehmensbereiche, die davon profitieren können?

„Ja, zum Beispiel das Produktmanagement. Dieses erhält, wie vorhin bereits erwähnt, aus den sogenannten Rating- und Review-Funktionen der E-Commerce-Lösung Informationen aus Hersteller- bzw. Kundenfeedback und kann etwaige Ableitungen treffen (z. B. an welchen Produkten man qualitativ Anpassungen vornehmen sollte oder ob die richtige Breite im Sortiment vorhanden ist).

Für das Unternehmenscontrolling lassen sich monetäre Kennzahlen schneller auswerten: Welche Käufergruppen kaufen viel? Welche weniger? Werden die richtigen Zielgruppen angesprochen? All diese Informationen können aus einer vollumfänglichen E-Commerce-Lösung ausgelesen werden.

Auch die Kommunikation im Unternehmen verbessert sich maßgeblich, weil Medienbrüche über den gesamten Prozess vermieden werden. Es kommt zu weniger Missverständnissen, da man eine einheitliche Systembasis hat.

Die Produktion kann viel schneller und sauberer Informationen über Produkte ins PIM und an den Endkunden bringen. Auf diese Weise lässt sich auch die Geschwindigkeit von Abläufen erhöhen. Ist beispielsweise ein Schuh für die nächste Herbst/ Winter-Kollektion wasserabweisend, weil entsprechendes Material verwendet wurde, wird diese Eigenschaft im PIM vermerkt und die angepassten Texte automatisch auf allen Kanälen aktualisiert.

Zusammenfassend ist festzuhalten das es keinen Unternehmensbereich gibt, der davon nicht profitieren kann.“

Nahezu jeder Mitarbeiter hat mittlerweile eigene Online- und Shoppingerfahrungen und erwartet privat Erlerntes und Gewohntes auch im Geschäftsumfeld. Was bedeutet das für B2B-Abläufe?

„Ein Einkäufer von zehn Tonnen Stahl möchte das genauso einfach abwickeln können, wie eine private Buchbestellung bei Amazon. Wer will schon erst per Telefon die Produktinformationen in Erfahrung bringen und am Ende noch per Fax bestellen? Anforderungen an Benutzerfreundlichkeit, Leistungsfähigkeit, Such- und Weiterempfehlungsmöglichkeiten aus dem B2C müssen auch im B2B abgebildet werden. Aktuell klafft zwischen beiden „Shoppingwelten“ aber noch eine große Lücke. Vielmehr lässt sich beobachten, dass es gerade die großen E-Commerce-Player sind, die mit eigenen B2B-Lösungen in diesen lukrativen Markt vorstoßen.

So lässt sich beispielsweise der Amazon Dash-Button nicht nur im B2C einsetzen. Er bietet, entsprechend auf das Geschäftsumfeld angepasst, auch für das B2B-Geschäft vielfältige Möglichkeiten: Denn der Produktionsmitarbeiter am Band möchte nicht lange telefonieren oder Faxe verschicken, um Material nachzubestellen. Er möchte idealerweise nur einen Knopf drücken und wissen, dass innerhalb weniger Stunden wieder eine volle Palette von Rohstoffen dasteht, die er weiter verarbeiten kann.
Hinzu kommt: Es drängen immer mehr „Digital Natives“ in den Markt, die ein anderes Hintergrundwissen, Verhalten und eine andere Erwartungshaltung an Geschäftsabläufe mitbringen.“

Was sind für Unternehmen die „Next Steps“, die es anzugehen gilt, um die Digitalisierung voranzutreiben?

„Es müssen im Unternehmen „Treiber“ und „Entscheider“ identifiziert werden, damit Digitalisierung im Unternehmen überhaupt möglich wird. Um eine digitale Strategie zu etablieren, ist nicht nur die Einführung der technischen Systeme, sondern auch die Ausrichtung der Organisation entscheidend. Denn ohne diese ist es nicht möglich, dass diese Systeme tagtäglich gewinnbringend für das Unternehmen eingesetzt werden.

Unternehmen brauchen also eine umfassende Digitalisierungsstrategie und eine klare Roadmap, die konsistent und prozessual definiert, wann welche Lösung wie zum Einsatz kommt. Denn gewinnbringend ist am Ende des Tages nicht, dass man eine E-Commerce-Lösung eingeführt hat, sondern dass man sie aktiv und nachhaltig betreibt und nutzt beziehungsweise funktional weiterentwickelt, den Marktgegebenheiten permanent anpasst und auch die eingeführten Anwendungen immer wieder kritisch hinterfragt.“