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Interview mit Ulrich Künzel

Design Thinking als Werkzeug der Digitalisierung: Raus aus der „ewigen Forschungsphase“

Herr Künzel, in der Digitalisierung erfährt Design Thinking als Methode im Moment einen gewaltigen Boom. Berechtigt?

Teilweise. Wenn man es lediglich als Methode betrachtet, dann meiner Ansicht nach eben nicht.

Warum?

Design Thinking ist mehr. Meiner Ansicht nach macht es mehr Sinn, von einem Set an Methoden zu sprechen, die in einem dynamischen Prozessmodell sinnvoll eingesetzt werden können. Das bloße Erstellen einer Customer Journey Map oder einer Persona ist noch kein Design Thinking. Die richtige Methode an der richtigen Stelle im Desgin Thinking Prozess einsetzen, dafür bedarf es Prozess-KnowHow und eines entsprechenden Mindsets – Stichwort nutzerorientierte Denkweise. Erst wenn das zusammenkommt, kann man von Design Thinking sprechen.

Ein ganzheitlicher Ansatz also, warum ist das entscheidend?

Weil man nur so zu Lösungen gelangt, die in der digitalen Welt wettbewerbsfähig sind: Innovative Services, Produkte und optimierte Prozesse. Oder Kombinationen daraus. Im Design Thinking sucht man erst nach Lösungen, wenn das Problem erkannt, aus der Nutzerperspektive analysiert und priorisiert ist. Bei der Lösungsfindung ist man dann jedoch sehr schnell – mit greifbaren Ansätzen in Form von Prototypen, die wiederum mit potenziellen Anwendern getestet werden. Idealerweise erarbeiten diese Lösungen interdisziplinär besetzte Teams, die jenseits von Unternehmenshierarchien zusammengesetzt werden und Input potenzieller Zielgruppen erhalten. Oft hat diese Arbeitsweise Implikationen auf Organisationsstrukturen und Unternehmenskultur, die sich sukzessive an die neuen Realitäten anpassen. Darum ist das Mindset so wichtig. Wir haben vier Leitsätze entwickelt, die es für uns wiederspiegeln.

… und zwar?

Erstens: „Nutzer vor Trend“, denn Design Thinking geht immer vom Endanwender aus – sein Feedback ist der Gradmesser des Erfolgs. Dann „Lösungsziel vor Lösungsgegenstand“ – nichts soll um seiner selbst willen entstehen, es muss stets einen konkreten Bedarf geben. Wir beobachten immer wieder unheilvolle Allianzen zwischen Dienstleistern mit Dollarzeichen in den Augen und Unternehmen, die diesen Dienstleistern zur vermeintlichen Lösung nicht existierender oder nicht vollständig verstandener Probleme mächtige und teure Tools abkaufen und sich dann wundern, dass sich nichts ändert. Das ist aus unserer Sicht Aktionismus und der falsche Weg. Wir leben darüber hinaus die methodische Vorgehensweise „Prototypen vor Präsentationsschlachten“ und gehen mit dem Leitsatz „Ready is better than perfect“ in unsere Projekte.

  

Was bedeutet das konkret?

Nehmen wir an: Ein Kunde möchte disruptive Technologien für neue Geschäftsmodelle nutzen, seinen Vertrieb oder seine Produktion neu aufstellen, neue Services für bestimmte Zielgruppen entwickeln, oder ein neues Angebotsportfolio nach einer Akquisition schaffen. Oder er sucht schlicht nach Möglichkeiten, um die Wertschöpfung seiner Produkte zu erweitern. Wir erhalten viele solche Anfragen. Was nützt es dem Unternehmen, wenn lediglich eine Präsentation als gemeinsames Workshop-Ergebnis erarbeitet wird? Wir möchten stattdessen erlebbare Prototypen oder zumindest eine klickbare Oberfläche schaffen. Das bringt mehr Klarheit und Nachvollziehbarkeit. Und nur durch rechtzeitiges Feedback entstehen gute Lösungen: Auch, wenn das neue Tool etwa für die Digitalisierung der Logistik-Prozesse noch nicht zu 100 Prozent brillant ist, lohnt es sich, dieses bereits als Beta-Variante im Unternehmen zu testen.

Warum ist das so wichtig?

Weil Tempo und Dynamik der Digitalisierung es erforderlich machen, sonst gerät man in eine „ewige Forschungsphase“. Gerade Unternehmen mit großen, gut ausgestatteten Entwicklungsabteilungen und hochspezialisierten Ingenieuren laufen Gefahr, zeitaufwändig viele wunderschöne Lösungen ohne Bezug zu realen Bedarfen zu produzieren. Digitale Services und Geschäftsmodelle sind auf eine zügige Verprobung auf dem Markt angewiesen, sonst ist jeder Design-Thinking-Ansatz zwecklos.

Aus diesem Grund entstand auch das, was sie „Formel Deins“ nennen?

Genau, "Formel Deins" ist unser Beschleunigungsverfahren für die Anwendung von Design Thinking im IT-Projektgeschäft. In der Digitalisierung treffen für IT-Dienstleister Kostendruck und Zeitmangel einerseits und Komplexität andererseits aufeinander. Auf den ersten Blick eine äußerst ungünstige Konstellation. Die drei Bestandteile des Beratungsansatzes – Bedarf ermitteln, Problemstellung definieren, gemeinsam Services gestalten – haben sich jedoch als sehr probat erwiesen, im IT-Projekt aus vagen Ideen im Eiltempo konkrete Ansätze in Form prototypischer Lösungsgegenstände zu erzeugen.

Und Design Thinking als Methoden-Set würde an dieser Stelle allein nicht ausreichen?

Nein, weil die Anwendung der Methoden umso erfolgreicher ist, je mehr Design Thinking Mindset und damit unvorhersehbare, unkonventionelle Ergebnisse man zulässt. Wie eingangs angedeutet: Dies führt fast zwangsläufig dazu, dass etablierte Prozesse und Strukturen im Unternehmen hinterfragt werden.

Wie gehen Unternehmen diesen Wandel an? Gibt es gute und weniger gute Beispiele?

Wir beobachten Tendenzen: Kaum ein Unternehmen hat heutzutage nicht einen Inkubator, der zunächst in überschaubarem Rahmen Pilotprojekte durchführen soll, um dann größere Kreise zu ziehen. Ein „Digital Office“, „Digital Lab“, das Design Thinking Methoden anwendet. Entscheidend ist, dass daraus kein schwarzes Loch wird und diese Abteilung ein Eigenleben am restlichen Unternehmen vorbei führt. Das machen manche besser als andere. Wenn etwa ein Unternehmen aus der – keinesfalls despektierlich gemeint – Provinz eine digitale Zelle in einer für junge Fachkräfte interessanten Metropole wie Berlin oder Köln eröffnet und der Rest des Unternehmens so weitermacht wie bisher, weil die Entfernung der beiden Bereiche gedanklich wie räumlich zu groß ist - wem nützt das? Innovative Ideen werden dann erfolgreich, wenn sie aus den Köpfen einzelner ins ganze Unternehmen getragen und in gemeinsam erweitert werden, in Form von neuen Services, Produkten und Prozessen. Es braucht dafür mehr als die Anwendung von ein paar Methoden in einem abgeschirmten Raum.

 

Über den Experten

Ulrich Künzel ist Pre-Sales Consultant für individuelle Lösungen rund um IoT und Prozessdigitalisierung bei der Telekom MMS. Schwerpunkte: Gestaltung innovativer Services im Healthcare-, Energie- und Telekommunikationsbereich – am liebsten mit Service Design Methoden. Vorher befasste er sich bei CHE Consult und der Aperto AG mit Hochschulmarketing und der Websitegestaltung von Universitäten.