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Interview mit René Büst, Cloud Experte und Senior Analyst von Crisp Research (bis 2016)

Cloud Computing - Das Getriebe der Digitalisierung


René Büst ist einer der profiliertesten Cloud-Experten Deutschlands. Für ihn ist die Cloud wesentlicher Bestandteil der digitalen Transformation – aber nur dann, wenn sie entsprechend vorbereitet im Unternehmen zum Einsatz kommt.

Herr Büst, in diesen Tagen ist viel von der Weiterentwicklung der Cloud die Rede. Manchen gilt sie bereits als Allheilmittel. Und zwar für die Prozesslandschaft der Unternehmen in der Digitalisierung …

… was allerdings ein fataler Trugschluss ist: Die Cloud macht alles nur noch schlimmer…

Bitte?

Ja, denn sie bringt jede Menge neuer Prozesse mit sich und stiftet, wenn man es genau nimmt, erst einmal Unordnung. Andererseits ist sie die notwendige Bedingung, um Innovationen zu schaffen. Schritt 1 ist deshalb: mit Cloud-Infrastruktur, die ihrerseits für die notwendige Integration sorgt, das richtige Fundament legen. Anschließend lassen sich darauf die ersehnten neuen Prozesse gestalten. Aber: Die Konfigurationsaufwände dafür sollte man tunlichst nicht unterschätzen. Und für Einsteiger ist es als Lernprozess sicher erst einmal besser, die „schnelle Ernte“ einzufahren und mit kleinen, schnell umsetzbaren Lösungen, etwa als Software-as-a-Service, zu beginnen.

Sie warnen demnach vor Aktionismus?

Absolut, es ist nicht zielführend, bei Prozessverbesserungen von der Technologieseite zu kommen, das kann nach hinten losgehen. Technologie kann Ideen bringen, keine Frage. Aber sie ist auch immer nur Mittel zum Zweck.

Wenn die Cloud sozusagen ein Getriebe im Motor der Digitalisierung ist, wie sind dann moderne Methoden wie DevOps einzuschätzen?

Auch hier ist es wichtig, zuerst die Business-Seite anzuschauen. DevOps, eine Methode, die IT-Entwicklung und IT-Betrieb mehr in Einklang bringt, hat oft ein Ziel: Dass Unternehmen ihre Lösungen schneller an den Markt bringen können, also damit die so genannte Time-to-Market beschleunigen. Dieses Momentum ist vor allem für tradierte Unternehmen wichtig, damit sie nicht von Start-ups überholt werden. Denn viele dieser vom Anbeginn weg digitalisierten Player haben ja kein klassisches „Ops“ mehr, sondern basieren vollständig auf Cloud-Strukturen. Das macht sie deutlich agiler und flexibler. DevOps kann also helfen, diesen Mangel an Tempo auszugleichen. Sie vereinfachen Schritte und Entwickler kommen mit ihrer Hilfe schneller an ihr Ziel. Kurz und gut: DevOps ist eine wertvolle Unterstützung.

Heißt das nicht auch, dass es in der Digitalisierung oftmals kein „Entweder-oder“ gibt sondern vielmehr ein „Sowohl-als auch“?

Richtig. Man hört ja momentan viel von der bimodalen IT, die ich lieber „IT der zwei Welten“ nennen möchte, und zwar geteilt in eine statische und eine dynamische Welt. In den nächsten Jahren wird für viele Unternehmen wichtig sein, diese Welten zu integrieren. Die Ablösung der statischen Seite findet eher sukzessive statt. Es wird sehr oft ein langsamer Wechsel aus einer hybriden Welt heraus sein.

Ist denn Langsamkeit in der digitalen Transformation kein Tabu?


Ich vertrete immer die These, dass wir uns bereits seit 30 Jahren in einem Prozess der Digitalisierung befinden. Mit SAP und Windows haben wir angefangen, mittlerweile stehen in jedem Büro Computer und auch der Einsatz mobiler Endgeräte nimmt stetig zu. Aber: Auch nach diesen drei Jahrzehnten sind längst nicht alle Abläufe digitalisiert worden. Auch hier gilt, dass Aktionismus fehl am Platze ist.

… stattdessen wäre wichtig?

… konkret im Einzelfall zu prüfen, wo digitale Prozesse Mehrwert stiften. Ich gebe ihnen ein Beispiel: Neulich habe ich meine Uhr in Reparatur gegeben. Vier Wochen lang habe ich vom Händler anschließend kein Lebenszeichen mehr gehört und dann bekam ich plötzliche eine Mitteilung, dass meine Uhr fertig sei. Zeitgemäßer Kundenservice? Nein, sicher nicht! Der Kunde möchte doch mal einen Statusbericht haben, wissen, wann die Reparatur ungefähr fertiggestellt sein wird, was konkret defekt war und nicht im Dunklen tappen. Deshalb ist es ein guter Weg, wenn Unternehmen ernsthaft prüfen, ob es ihrerseits solche dunklen Flecken in den Prozessen gibt und wo es sinnvoll ist, hier mit neuen digitalen Abläufen Abhilfe zu schaffen.

Wenn sie von Abhilfe sprechen: wo denn konkret?

In erster Linie ist es so, dass die Digitalisierung mehr Transparenz bringt. Sie legt offen, wie Unternehmen sich mit Lieferanten, Partnern und Kunden besser vernetzen und beispielsweise das Kundenerlebnis verbessern zu können. Sie hilft, Prozesse „sauber“ zu denken.

Angesichts dieser Positiveffekte: Wie ist denn grundsätzlich der Status quo der Digitalisierung in deutschen Unternehmen?

Durchwachsen. Es existiert offensichtlich ein Missverhältnis zwischen mittleren und großen Organisationen. Laut unseren Untersuchungen beschäftigen sich zwar bereits 83 Prozent der Mittelständler mit der Cloud, aber 58 Prozent verfügen noch nicht über eine Digitalstrategie. Und das ist fatal, denn um mit der Cloud umgehen zu können, braucht es angesichts ihrer Komplexität auch eine Strategie. Diese muss außerdem in sämtlichen Unternehmensbereichen bis rein in die Geschäftsführung etabliert sein.

Nur was heißt denn Strategie, ist das nicht ein zu schwammiger, allgemeingültiger Begriff?

Nein, nicht, wenn man ihn an handfeste Überlegungen knüpft. Wichtig ist immer zu prüfen, an welchen Stellen man angreifbar ist. Ich kenne selbst das Beispiel eines Wertstoffhändlers, der einen innerbetrieblichen Think-Tank gegründet hat mit dem Ziel, Mittel und Wege zu suchen, das Geschäftsmodell des eigenen Unternehmens zu attackieren – genauso geht´s.

Sind solche innovativen Ansätze mit Blick auf das Internet der Dinge und Industrie 4.0 nicht eine Pflicht, da hierbei eine noch viel massivere Umwälzung auf die gesamte Ökonomie zuläuft?

Unbedingt. Denn die Supply Chain muss zukünftig deutlich agiler sein, um im Wettbewerb bestehen zu können. Dabei wird es viel um Echtzeit gehen. Im Bestfall werden Unternehmen schon eine Stunde vorher wissen, was der Kunde dann benötigen wird, sprich: Predictive Analytics werden immer wichtiger. Es gilt die Rüstzeiten von Unternehmen runterzufahren, Vernetzung über die gesamte Lieferkette zu erreichen und mithilfe der Cloud schnell skalieren zu können. Denn ein Fakt wird uns auch in der Industrie 4.0 begleiten: Märkte sind nicht vorhersehbar, deshalb müssen die Reaktionszeiten schneller werden.

Also ist cloudbasierte Technologie letztlich dann aber doch entscheidend?

Ja, aber weiterhin gilt: Nur, wenn ich sie an den richtigen Stellen einsetze und vor allem, wenn ich auch weiß, warum ich sie überhaupt einsetze. Sind diese Bedingungen aber gegeben und möchte ich mich als Unternehmen dann dieser Technologie bedienen, um damit gegen den Wettbewerb zu bestehen, gilt in der Tat das Motto: Angriff ist die beste Verteidigung!

  • Portrait René Büst

    Über den Autor

    René Büst ist Research Director in Gartners Managed Business and Technology Services Team mit Hauptfokus auf Infrastructure Services & Digital Operations. Er analysiert Entwicklungen im Bereich Cloud Computing (Anbieter von Managed Cloud-Services und Public Cloud sowie Cloud-Strategien wie IaaS, PaaS und Multicloud), digitale Infrastrukturen und Managed Services sowie den Einfluss der digitalen Transformation auf die IT. Seit Mitte der 90er Jahre konzentriert sich Herr Büst auf den strategischen Einsatz der IT in Unternehmen und setzt sich mit deren Einfluss auf unsere Gesellschaft sowie disruptiven Technologien auseinander.