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Prof. Dr.-Ing. Dr. Detlef Zühlke, Experte für Internet of Things und Industrie 4.0, im Interview

Mit konkreten Produkten Geld verdienen

Herr Prof. Zühlke, Ihr Thema ist bereits seit geraumer Zeit die „intelligente Fabrik der Zukunft“? Wie wird denn aus einer profanen Fabrikationsstätte ein schlauer Ort?

Im Grunde genommen geht es, wie im Alltagsleben auch, um smarte Geräte. Bereits 2004, als die Diskussion um Smart Homes startete, habe ich mich mit einigen Partnern um das Prinzip Smart Factory gekümmert. Und hier stehen seitdem vor allem digitale Verbindungen und Steuerungen auf der Agenda.

Das ist mehr als 10 Jahre her. Im Großen und Ganzen sieht es aber doch nicht so aus, als könne man hier bereits von einem Durchbruch reden, oder?

Nicht ganz. Die smarte Fabrik bekommen wir nur mit smarten Bausteinen verwirklicht. Das heißt, durch eine starke Modularisierung und über Standards, sowohl in der Netzwerk- als auch in der dafür eingesetzten Internettechnologie. Denn eine neue digitale Welt in der Industrie ist nur dann sinnvoll, wenn wirklich alles einfach miteinander zu verbinden ist. Es braucht in der digitalen Fabrik einen durchgängigen Informationstransport, der jede Art von Softwarekonvertierung überflüssig macht. Da hilft auch ein Blick in die Vergangenheit. E-Mail und Internet sind wegen ihrer Standards wie etwa HTML groß geworden. Salopp formuliert, müssen wir die digitale Fabrik so einfach wie mit Lego® -Bausteinen auf-, aus- und umbauen können. …

Damit tun wir uns noch schwer?

Ja. Das Deutsche Institut für Normung DIN und auch die DKE, also die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik, sind demokratisch geprägt. Deshalb dauert es entsprechend lange, bis Normen und Zertifizierungen entstehen. Hier sind die Vereinigten Staaten schneller, weil sie die Dinge pragmatischer angehen. Da tun sich mal eben vier oder fünf Industrieunternehmen zusammen und entwickeln einen Standard. Dann entsteht daraus so etwas wie USB oder Bluetooth. Auch eine Institution wie das Industrial Internet Consortium ist von Pragmatismus gekennzeichnet; da können wir noch dazulernen.

Konsortien sind das eine. Privatwirtschaftliches Engagement das andere. Gerade hier, so Kritiker, mangelt es aber an Leidenschaft …

… das sehe ich explizit nicht so. Inhabergeführte Unternehmen wie Harting, Phoenix Contact oder Weidmüller sind Treiber der Entwicklung. Woran es aber tatsächlich mangelt, sind leider Vordenker in kleineren Unternehmen, die sich und ihre Stimme einbringen.

Aber selbst wenn kleine Unternehmen verstärkt aktiv werden, ist uns das Ausland nicht trotzdem bereits davongezogen?

Nein, hier lohnt es zu differenzieren. IT ist ein extrem wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzeptes. Und es stimmt, dass etwa die USA den Vorteil einer gigantischen IT-Industrie haben. Auch Südkorea ist äußerst ambitioniert, und selbst die Japaner holen mit riesengroßen Schritten auf. Aber: Die intelligente Fabrik ist eben mehr als ausschließlich IT. Es kommt ebenfalls darauf an, Know-how im Maschinenbau zu haben, und darüber hinaus in den Bereichen Embedded Systems, Automatisierung und industrielle Produktion. Und in diesen drei letztgenannten Segmenten sind wir weltweit führend.

Okay. Dann drehen wir den Spieß einfach mal um. Additiv zu diesen drei Kompetenzfeldern und der IT: Was benötigen wir denn sonst noch, damit wir international am Ball bleiben?

In erster Linie eine gedankliche Revolution. Trotz der Abstraktheit des Themas vermisse ich noch das Verständnis der mittelständisch geprägten Industrie über die immensen Geschäftschancen, die sich durch die intelligente Fabrik ergeben. Es muss beispielsweise noch klarer werden, dass man als Unternehmen neben den bereits bekannten Maschinen auch neue, digitale Produkte anbieten kann, wenn man sich in diesem Bereich engagiert. Darüber hinaus mangelt es mitunter an Begeisterung für das Thema.

Wie lässt sich diese Begeisterung wecken?

Durch Aufklärung, indem man den Firmen die Chancen aufzeigt, die sich durch Digitalisierung ergeben. Insbesondere der für Deutschland wichtige Mittelstand braucht hier eine Hilfestellung. Deshalb wurden Anfang 2016, gefördert durch das Bundeswirtschaftsministerium, die ersten Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren gegründet. Ihre Aufgabe ist es, kleine und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung von Ideen aus den Bereichen Industrie 4.0 und Digitalisierung zu unterstützen. Diese Zentren müssen auch dazu beitragen, die Qualifizierung der Mitarbeiter an die neuen Herausforderungen anzupassen.

Inwiefern?

Wir müssen gerade in der ingenieurswissenschaftlichen Ausbildung Brücken bauen und die einzelnen Fakultäten miteinander verbinden, das Ganze muss einen mehr integrativen, interdisziplinären Charakter bekommen. Und die IT muss, gerade im Maschinenbau, mehr Einzug in die Studienfächer bekommen. Darüber hinaus dürfen wir aber unsere Stärken nicht vergessen. Die liegen in diesem Bereich etwa in unserem Berufsstand des Facharbeiters, das ist ein riesiges Pfund, mit dem wir wuchern können. In anderen Ländern ist der Stand der gewerblichen Ausbildung bei Weitem nicht so gut. Diesen Schwung müssen wir in die sozusagen neue Welt mitbringen und die Ausbildungswege daran anpassen. Auf eine ähnliche Weise ist übrigens seinerzeit das Berufsbild des Kfz-Mechatronikers entstanden.

Damit haben Sie sowohl unsere Stärken als auch diejenigen Bereiche klar definiert, wo Deutschland noch Nachholbedarf hat. Wie steht es aber um die Sicherheit? Hier scheiden sich ja die Geister.

Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Industrie 4.0 und Internet der Dinge benötigen adäquate Sicherheit, das ist keine Frage. Wir dürfen unseren Fokus aber nicht ausschließlich darauf richten. Darüber hinaus braucht es keine Sicherheit mit dem Schrotgewehr, sondern wir müssen die Sicherheitstechnik sauber in die Produktionsprozesse bringen. Und das geht weit über die reine Technologie hinaus. Denn der Mensch wird in einer derart offenen und vernetzten Fabrikation die größte Schwachstelle sein. Ihn müssen wir in derlei Sicherheitskonzepte von Anbeginn mit einbeziehen.

Das Sicherheitsthema wird ja gerade von der Politik fortlaufend betont …

Das ist auch in Ordnung. Die Politik macht durchaus vieles richtig. Metaphorisch ausgedrückt, sind es aber nicht nur die Leuchtturm-Projekte, die uns voranbringen, sondern auch die „Straßenbeleuchtung“. Wir müssen also mehr in die Fläche gehen. Wir arbeiten an einigen Stellen noch zu deutsch, zu gründlich, bilden gerne Arbeitsgruppen und Gremien, die das Thema immer umfassender und tiefer durchdringen wollen – da überspannen wir den Bogen an der ein oder anderen Stelle.

Stattdessen ...?

… die Sache pragmatisch und punktuell zum Erfolg führen. Wir dürfen auf gar keinen Fall die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Ziel kann und darf nicht die komplette Voll-Automatisierung sein, sondern eine sukzessiv fortlaufende Verbesserung. Alles andere ist irreal und Wunschdenken zugleich.

Woran liegen diese überhöhten Vorstellungen?

Nun ja, beim Thema Digitalisierung der Fabriken diskutieren auch viele Menschen mit, die noch nie eine Produktionshalle von innen gesehen haben. Lassen Sie mich das klar ziehen: Wir brauchen Visionen, um die Zukunft zu gestalten, aber allein mit Visionen werden wir in puncto intelligente Fabrik kein Geld verdienen, sondern ausschließlich mit konkreten Produkten und Dienstleistungen.

Über den Experten

Prof. Dr.-Ing. Dr. Detlef Zühlke war bis 2017 Professor für Produktionsautomatisierung an der Technischen Universität Kaiserslautern und wissenschaftlicher Direktor der DFKI GmbH für Innovative Fabrik Systeme. Darüber hinaus verfügt er über fundierte Industrie-Expertise als technischer Topmanager in Unternehmen wie Airbus oder Boeing. Er ist Hauptinitiator der Technologie-Initiative SmartFactory KL e.V. – die intelligente Fabrik der Zukunft, die 2005 mit namhaften Partnern aus Industrie und Wissenschaft gegründet wurde.Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) zeichnete den Industrie-4.0-Pionier 2016 mit seinem Ehrenzeichen für die Applikation und die Erprobung neuer Technologien in der industriellen Produktion aus.