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Interview mit Prof. Dr. Tobias Kollmann

Wie Unternehmen die digitale Transformation in Kooperation mit Start-ups bestehen


Viele deutsche Unternehmen tun sich noch schwer damit, das eigene Geschäftsmodell an die Digitalisierung anzupassen. „Sie kopieren lieber neue Ideen statt selbst innovativ zu sein, sind dabei aber häufig nicht schnell genug und deshalb auch meist nicht erfolgreich“, so die Experten der Unternehmensberatung KPMG. Wertvolle Unterstützung können an dieser Stelle Jungunternehmen bieten, sagt Gründungs-Fachmann Prof. Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls "E-Business und E-Entrepreneurship" an der Universität Duisburg-Essen. Im Interview verrät er, wie klassische Firmen von Start-ups profitieren können

Herr Prof. Kollmann, bei der Digitalen Transformation schauen viele Unternehmen mit Respekt auf Start-ups. Was können sie von diesen lernen?

Den Mut, die digitale Herausforderung aktiv anzugehen. Start-ups sind risikoorientiert und bringen ihre Online-Innovationen mit einem klaren Eroberungsanspruch auf den Markt, um sehr schnell viele neuen Kunden zu erreichen. Konzerne und der Mittelstand sind oftmals nicht so experimentierfreudig und scheuen aus einem Verteidigungsmodus gerade für die vorhandene Kundenbasis heraus einen radikalen Wechsel zu digitalen Geschäftsmodellen.

Was müssen Mittelstand und Konzerne denn strukturell ändern, um mehr wie ein Start-up zu sein?

An erster Stelle steht immer noch die Erkenntnis, dass man sich dem digitalen Wandel nicht entziehen kann. Alle Branchen und alle Geschäftsmodelle werden direkt oder indirekt durch elektronische Netzwerke beeinflusst. Um diesen Wandel aktiv anzugehen, kann man erstens intern die Online-Kompetenz über passende Fachkräfte im eigenen Unternehmen aufbauen, oder zweitens extern mit Start-ups aus dem Online-Bereich zusammenarbeiten, um die passenden elektronischen Geschäftsmodelle gemeinsam auszuprobieren und dann umzusetzen. Gerade die Kooperation zwischen innovativen Start-ups sowie dem klassischen Mittelstand beziehungsweise der klassischen Industrie kann zu einem Wettbewerbsvorteil für die digitale Transformation der Wirtschaft in Deutschland werden.

Angenommen, ich habe mich als Unternehmen entschlossen, mit einem Start-up zusammenzuarbeiten? Was ist dabei zu beachten?

Die unterschiedliche Unternehmenskultur ist sicherlich ein wesentlicher Faktor. Die Macher in Start-ups denken und handeln einfach anders als die Manager in einem klassischen Unternehmen. Auf der einen Seite haben wir viele schnelle Entscheidungen mit dem Wunsch der freien Entfaltung, die auf der anderen Seite auf eher langwierige Abstimmungsprozesse und organisationales Verhalten treffen. Hierfür die passende Schnittstelle mit Prozessen, aber auch Akteuren zu schaffen, so dass die notwendige Geschwindigkeit beim Start-up nicht gemindert und gleichzeitig das etablierte Unternehmen wirksam mit in die digitale Welt genommen wird, ist die Hauptaufgabe der Zusammenarbeit.

... wobei: Ist denn das von Ihnen geschilderte Szenario für Start-ups überhaupt attraktiv? Oder geht es hier nicht vielmehr vor allem um Zu- oder Verkäufe? 

Die Entscheidung über gegenseitige Beteiligungsmodelle sollte nicht zwingenderweise am Anfang der Zusammenarbeit stehen. Natürlich brauchen Start-ups neben einer guten Idee und einem Geschäftsmodell auch Kapital für die Umsetzung und den Aufbau. Hierfür gibt es aber inzwischen auch viele andere Quellen im Venture Capital-Bereich. Wichtiger ist die inhaltliche Win-Win-Situation: Mittelstand und Industrie brauchen die innovativen Geschäftsmodelle der Start-ups für den Einstieg in den Online-Wettbewerb, die Start-ups brauchen den vorhandenen Marktzugang von Mittelstand und Industrie, um kostenneutraler ein schnelles Kundenwachstum zu erreichen. Über diese Kooperation könnten wir in Deutschland auch den Nachteil ausgleichen, dass wir im Vergleich zu den USA als führende Online-Wirtschaftsnation über deutlich weniger Venture Capital für Start-ups verfügen, mit denen die sich das Wachstum im Markt quasi erkaufen können.

Nehmen wir mal an, eine Kooperation ist entstanden, der Lernprozess läuft gut:Was kommt danach, was können Unternehmen dann tatsächlich auch in die Praxis umsetzen? 

Über die Kooperation können etablierte Unternehmen sowohl den eigenen digitalen Wandel begleiten als auch die eigene Wettbewerbsposition im Markt stärken, indem das klassische Kerngeschäft auch über elektronische Geschäftsmodelle bedient beziehungsweise unterstützt wird. Das kann sich sowohl auf Einkaufs- aber auch auf Verkaufs- und Handelsprozesse beziehen. Damit lernen sie die digitale Wertschöpfung mit digitalen Nullen und Einsen und bauen sich gemeinsam mit dem Start-up eine Informationsbasis auf, die zu einer verbesserten Vermarktung des Leistungsangebots auf beiden Seiten führen kann. 

... weil? 

... weil es in Zukunft nicht nur wichtig sein wird, dass man marktfähige Produkte hat, sondern auch die Daten über die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse und Wünsche des Kunden. Das werden "virtuelle Werte" einer Unternehmung sein, mit denen viele klassische Unternehmen heute noch nichts anfangen können, da man diese nicht anfassen kann, und wenn man den Stromstecker zieht, ist alles weg. Wenn es darum geht eine neue Maschine in einer Halle aufzustellen, wissen wir in Deutschland alles, wenn es darum geht, mit "Big Data" elektronische Geschäftsprozesse und -modelle aufzubauen, dann wissen wir fast gar nichts. Das macht unserem Mittelstand und unserer Industrie immer noch Angst. 

... begründete Angst? 

Auf keinen Fall, denn eine Alternative wird es nicht geben. Wer in Zukunft nicht digital mitspielen kann oder will, wird bald gar nicht mehr mitspielen. Zum einen verlagern sich seit Jahren die Umsätze oder diesbezügliche Entscheidungen zunehmend auch für den klassischen Mittelstand und die Industrie spürbar in den Online-Bereich und zum anderen können wir beobachten, wie die großen Online-Unternehmen aus den USA zunehmend in den realen Produkt- und Handelsbereich drängen. Der geplante Autobau durch Google oder der Einstieg von Amazon in den realen Lebensmittelhandel sind nur zwei Beispiele. Dem kann man nur begegnen, wenn man sich selbst aufmacht, um sowohl die reale, als auch die digitale Handelsebene zu beherrschen.

Gehen wir mal von einem Positivbeispiel aus, und der Lernprozess war erfolgreich. Wie bleibt das Start-up-"Feeling" dann erhalten? 

Über die Menschen im Unternehmen. Die müssen genauso ständig in Bewegung bleiben, wie das angebotene elektronische Geschäftsmodell, denn die digitale Welt entwickelt sich nonstop und rasant weiter. Vor zehn Jahren gab es viele erfolgreiche Online-Start-ups wie Facebook & Co. noch gar nicht und wir wissen heute nicht, was uns in zehn Jahren erwartet. 

Nicht alles, was neu ist, muss auch zwingend gut sein, das heißt im Umkehrschluss also, welche alten "Tugenden" sollten sich Unternehmen behalten, wo können wiederum Start-ups lernen? 

Start-ups können und müssen lernen, wie man eine innovative Geschäftsidee in eine stabile Unternehmung überführt, wie Produkte und Services mit zugehörigem Wachstum nachhaltig skaliert werden und Kundenbeziehungen langfristig etabliert werden können. Klassische Prozesse in den Bereichen Steuern, Personal, Vertrieb usw. müssen in der Unternehmensführung und -entwicklung berücksichtigt werden. Hier können der klassische Mittelstand und die Industrie ihre Stärken ausspielen und dann dem Start-up helfen, denn schließlich haben sie das schon mal erfolgreich gemacht.