Cookie

Neue Geschäftsmodelle entwickeln

„Der Consumer-Bereich verändert die Erwartungshaltung der Kunden“

Es ist keine Neuigkeit, dass Unternehmen ihr Geschäft hinterfragen und weiterentwickeln müssen.
Doch wie haben sich die Erwartungen der Kunden durch die Digitalisierung verändert und wie wichtig ist eigentlich ein Partner bei der Umsetzung neuer Geschäftsideen? Das erklären Markus Wiskirchen, Leiter Digital Process Consulting (bis Mai 2020), und Dr. Stefan Pietschmann, Leiter Smart M2M Solutions, von T-Systems im Gespräch mit der A&D.


Die fortschreitende Digitalisierung scheint unter anderem die Erwartungshaltung der Kunden zu erhöhen. Wie ist Ihr Eindruck?

Wiskirchen: Die Digitalisierung ist ein rasanter Prozess. Die technologische Entwicklung erreicht auch das Privatleben der Menschen immer schneller und führt dazu, dass Konsumenten eine andere Erwartungshaltung haben. Sie wollen immer „State of the Art“ bedient werden.


Wie meinen Sie das?

Wiskirchen: Ein ganz einfaches Beispiel: Jeder von uns nutzt heutzutage ein Smartphone mit Apps. Man will immer Zugriff haben, schnell informiert werden und sofort eingreifen können, wenn irgendetwas passiert. Das lässt sich auch auf die Industrie übertragen. Die Endkunden er warten von den Produkten, dass sie bei Problemen sofort benachrichtigt werden und aus der Ferne eingreifen können. Der App-Gedanke aus dem Consumer-Bereich strahlt immer weiter aus. Zusätzlich sprechen wir in der Industrie vermehrt über das Thema Losgröße 1 und individuell konfigurierbare Produkte. Das hat natürlich mit einer Erwartungshaltung zu tun, die dann nämlich lautet: Ich möchte als Konsument ein Produkt, das zu mir passt und so ist, wie ich es mir vorstelle. Das birgt enorme Herausforderungen – gerade für Unternehmen, die Produkte für den Massenmarkt herstellen.

Dr. Stefan Pietschmann: Gleichzeitig müssen gerade Unternehmen im deutschen Mittelstand den Spagat zwischen attraktivem Preis und hoher Qualität meistern: „Made in Germany“ impliziert durchdachte Produkte mit hoher Güte und hoher Lebenszeit. Im Wartungsfall wünscht man zudem sofort Unterstützung durch den Hersteller – schnell, unkompliziert und aus der Ferne.

„Wenn ich mich mit der Erweiterung meines Geschäftsmodells beschäftigte, muss ich den Kunden einbeziehen und alles von ihm her denken. Das ist, wenn ich mich auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette befinde, gar nicht so einfach.“

Markus Wiskirchen, Leiter Digital Process Consulting 

Wie können Unternehmen mit diesen Erwartungen umgehen? Wie lassen sich daraus vielleicht sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln?

Wiskirchen: Zunächst einmal gilt es, herauszufinden, welche Unternehmensbereiche denn in besonderem Maße von der digitalen Transformation betroffen sind. Wo sind die größten Gaps, die ich als Unternehmen habe? Hier können wir zum Beispiel mit einer digitalen Reifegradanalyse starten oder wir gehen direkt in den Ideation-Prozess, wenn unser Kunde schon erste Vorstellungen hat. Zentral ist hier, dass der Kunde im Zentrum steht. Das klingt vielleicht banal, aber wenn ich mich mit der Erweiterung meines Geschäftsmodells beschäftigte, muss ich den Kunden einbeziehen und alles von ihm her denken. Und das ist eben, wenn ich mich auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette befinde – zum Beispiel als Hersteller einer Maschine –, gar nicht so einfach. Denn der direkte Kontakt zum Endkunden besteht ja gar nicht.

Pietschmann: Wenn ich hier gleich mal einhaken darf… Häufig ist den Produktentwicklern gar nicht so klar, welche Erwartungen die Kunden konkret haben. Wer sind denn überhaupt meine Kunden? Wo stehen meine Anlagen? Wie werden sie genutzt? In welchen Konfigurationen? Was haben meine Nutzer für Probleme? Viele Unternehmen sind von ihren Endkunden weit entfernt, weil Händlernetzwerke zwischen ihnen stehen. Die Digitalisierung kann dazu beitragen, diese Entfernung zu minimieren und die Entwicklung von Produkten und Services auf das Nutzungsverhalten und die Bedürfnisse von Endkunden besser abzustimmen.

„Viele Unternehmen sind von ihren Endkunden weit entfernt, weil mehrstufige Händlernetzwerke zwischen ihnen stehen. Die Digitalisierung kann dazu beitragen, diese Entfernung zu minimieren.“

Dr. Stefan Pietschmann, Leiter Smart M2M Solutions


Wie gehen Sie in der Beratung vor?

Wiskirchen: Wir schauen uns zunächst die Unternehmensbereiche genau an. Wir untersuchen die Kundenbeziehungen und -bedürfnisse und auch die Touch-Points, die End- oder B2B-Kunden mit dem Unternehmen haben. Damit haben wir Anknüpfungspunkte, um die Customer Journey zu verbessern. Außerdem analysieren wir den Markt. Natürlich kennt unser Kunde sein Geschäft und meistens auch seine direkten Wettbewerber sehr gut, aber nichtsdestotrotz führen wir nochmal eine systematische Analyse durch, sehen uns andere Branchen an und welche erfolgreichen Geschäftsmodelle dort angewendet werden. Denn immer mehr Unternehmen überlegen, ob ihr klassisches Geschäftsmodell für die Zukunft ausreichend ist. Hier helfen wir dabei, komplett „out of the box“ zu denken. Alles, was den Leuten einfällt, legen wir erstmal auf den Tisch. Dadurch kommen immer wieder erstaunliche Ideen zustande und wir unterstützen bei der Identifizierung solcher Potenziale.


Was ist dann der nächste Schritt?

Wiskirchen: Ausgehend von unserem Customer-Centricity-Ansatz kommt als nächstes die Einbeziehung des Kunden. Das heißt, wir werden von unserem Kunden beauftragt, mit seinen Kunden zu sprechen. Und es ist oft erstaunlich, was wir an neuen Erkenntnissen gewinnen können, obwohl vorher schon jahrelanger Kontakt zwischen den Geschäftspartnern bestanden hat. Das liegt an der anderen Art des Fragens und an dem Fragenkatalog, mit dem wir versuchen, die jeweiligen Bedürfnisse zu identifizieren. Wenn wir das gemacht haben, holen wir unseren Kunden mitsamt den verschiedenen Stakeholdern dazu. Der C-Level ist hier eigentlich immer mit am Tisch, um dann ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen, die häufig auch für den Kunden neu sind, erste Ideen für Services zu entwickeln.

Jetzt haben wir viel über die theoretische Umsetzung gesprochen. Beschreiben Sie doch bitte einmal ein konkretes Projekt, das Sie realisiert haben.

Wiskirchen: Ein Projekt haben wir mit einem Anbieter von Full-Service-Hygienelösungen umgesetzt, welcher unter anderem Waschräume ausstattet. Die Spender für Seife, Handtücher und so weiter wurden mit Sensorik versehen, um Füllstände anzuzeigen und diese über ein Portal entsprechend überwachen zu können. Ziel war es hier, dass die Spender nicht dann aufgefüllt werden, wenn ein Mitarbeiter turnusmäßig vorbeikommt, sondern nur, wenn es wirklich nötig ist.

Pietschmann: Interessant an diesem Beispiel ist, dass Unternehmen wie dieses nicht vorrangig an den verbauten Geräten verdienen. Vielmehr geht es darum, Serviceverträge zu erfüllen und Verbrauchsmaterialien zu liefern. Diese sollen genau dann geliefert werden, wenn sie benötigt werden. Was wir mit dem Projekt geschafft haben, ist ein Win-Win für alle Beteiligten. Unser Kunde versteht das Nutzungsverhalten über alle Lokationen, kann Prognosen fahren und weiß daher genau, wann er was liefern muss. Dienstleister füllen nur dann auf, wenn nötig. Dadurch kann Personal effizienter eingesetzt und Serviceverträge optimiert werden.

Das Interview führte: Florian Mayr, A&D