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Interview mit Felix Schmidt, ehemaliger Chief Data Officer bei L'Oréal in Deutschland

Digitales Marketing auf Basis von fundierter Big Data-Analyse

Herr Schmidt, Sie sind (bis 2017) Chief Data Officer bei L'Oréal in Deutschland. Wie wird man sozusagen Herr der Daten bei einem Kosmetikkonzern?

Da hilft ein Blick in unsere Strukturen. Auf der einen Seite beschäftigen wir weltweit rund 3.900 Wissenschaftler in unserer Abteilung für Forschung und Entwicklung. Die L'Oréal-Gruppe hat im vergangenen Jahr allein mehr als 500 Patente angemeldet. Wir sind damit – das können wir mit Fug und Recht behaupten – also nicht nur Weltmarktführer, sondern halten sicher auch die Technologieführerschaft in unserer Branche. Zudem hat L'Oréal über eine Milliarde Konsumenten aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen mit vielfältigen Bedürfnissen. Gleichzeitig ist das Informations- und Kaufverhalten dieser Kunden heute sehr individuell und differenziert. Die junge Generation informiert sich über YouTube und Snapchat, ältere Kunden nutzen andere Online-Kanäle. Wieder andere setzen auf Instagram oder gleich komplett auf Blogs. Um nicht nur die Bedürfnisse unserer Konsumenten zu kennen, sondern auch zu wissen, über welche Kanäle wir sie erreichen, ist es wichtig, dem Thema Daten die dem Zeitalter der Digitalisierung angemessene Bedeutung zu geben.

Das ist mehr als verständlich. Wie konkret aber helfen Ihnen denn Daten bei der Personalisierung ihres Geschäfts?

Wir schauen vor allem auf die Consumer Journey. Wie bewegt sich ein Kunde? Kommt er etwa von YouTube? Hat er über den Handel seinen Erstkontakt? Wie agiert er sowohl online als auch offline? Zudem decken wir mit 32 Marken sehr breit den Kosmetik-Gesamtmarkt ab. Deshalb tauschen wir wenn rechtlich möglich auch Daten zwischen den einzelnen Marken aus, schauen, was es hier für Interaktionen gibt. Daraus können wir dann wertvolle Schlüsse ziehen.

Können Sie ein konkretes Beispiel dieser Arbeit geben?

Gerne. Wir möchten im digitalen Marketing keine Ansprache für ein einzelnes Produkt mehr machen, sondern für eine Zielgruppe. Sucht der Konsument etwa einen Duft für jeden Tag, möchte er vielleicht seiner Mutter etwas zum Muttertag schenken oder ist es ein ganz besonderer Duft zum Ausgehen am Freitagabend, den er sucht? Das wollen wir vorab erfahren, damit wir ihn passend zu diesem speziellen Anlass ansprechen können. Mit vorausschauenden Konsumenten-Analysen auf Datenbasis sorgen wir beispielsweise bald dafür, dass der trockene Hauttyp beim nächsten Besuch der Webseite auch garantiert keine Anzeigen mehr für ein Pflegeprodukt für Menschen mit fettender Haut angezeigt bekommt.

Das sind Informationen, die doch eigentlich der Handel vorhalten sollte, der dem Kunden das Produkt verkauft, oder?

Absolut, und das soll auch so bleiben. Vorher ist es aber unsere Aufgabe, den Interessenten unseres Produktes bereits vor dem Kaufprozess möglichst individuell zu betreuen und wertzuschätzen. Um es zu verdeutlichen: Die Kompetenz im direkten Umgang mit den Konsumenten, die liegt bei unseren Partnern im Handel. Wir möchten das Wissen über unsere Konsumenten, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Erfahrungen mit unseren Produkten noch besser kennen. Denn mit diesem Wissen können wir sie zukünftig noch besser betreuen. Das ist, glaube ich, auch eine der größten Fehlinterpretationen der Rolle eines CDOs...

… und zwar?

Es geht in diesem Job nicht im Sinne klassischer Business Intelligence darum, auf Basis von tagesaktuellen Auswertungen Umsätze zu bewerten. Sondern die Aufgabe ist es, den Blick in die Zukunft zu werfen. Die alles entscheidende Frage dabei ist: Wie werde ich als Marke relevant beim Konsumenten? Meine Aufgabe muss es demnach sein, den Weg dafür zu bereiten. Vereinfacht ausgedrückt: Ich bringe die Taschenlampe mit, gehe tief in die Datenbasis rein und möchte dann tausende von Voraussagen treffen. Mein Ziel ist es, fundiertes Programmatic Advertising zu unterstützen. So dass wir beispielsweise Marketingbudgets sehr, sehr zielgerichtet einsetzen können.

Mit welcher Konsequenz?

Dass wir unsere Kommunikationswege und unseren Stil dem Konsumenten, der ja wie bereits gesagt heutzutage viel schwieriger greifbar ist, anpassen. Ich will dem Konsumenten also keinen alten Wein in neuen Schläuchen servieren, sondern ihn direkt zur Weintraube führen. Da kann er dann auswählen, was für eine Traube er konkret will. Maßgeschneiderte, personalisierte Interaktion also, wie sie im digitalen Zeitalter immer mehr die Regel sein wird.

Der theoretische Weg ist demnach klar. Aber wie schafft man das in der Praxis?

Indem man sich mit den Marketinginstrumenten den Konsumentengewohnheiten und somit der Digitalisierung anpasst. Etwa mit "Make Up Genius", einer App fürs Smartphone von den Kollegen bei L'Oréal Paris, mit der man verschiedene Styles einfach mal virtuell ausprobieren kann. Auf den ersten Blick vielleicht trivial, auf den zweiten Blick ein feines Augmented-Reality-Werkzeug für unser Marketing das das Potential beherbergt, unsere Konsumenten zu verstehen, als würden sie uns direkt gegenüberstehen. Oder unser flexibler Hautsensor namens "My UV Patch" den La Roche Posay vor kurzem vorgestellt hat. Das ist ein elektronisches System, das sich auf einem selbstklebenden Film befindet, noch weniger zu spüren als ein Pflaster. Das Patch ist zweieinhalb Quadratzentimeter groß und 50 Mikrometer dünn. Es enthält photosensitive Farbstoffe, die die eigene Hautfarbe als Basis berücksichtigen. Die sich verändernde Farbe des Patches gibt die Intensität der Sonneneinstrahlung wieder. Unsere Konsumenten laden dann mit Hilfe eines Smartphones ein Foto des Patches hoch. Die dazugehörige App analysiert die photosensitiven Abschnitte des Patches und ermittelt den Grad der UV-Strahlung, der der Träger ausgesetzt war. Dies ermöglicht dem Verbraucher einen besseren Schutz vor schädlicher UV-Strahlung. Und in den USA gibt es ein innovatives Konzept für personalisiertes Make-up, das Sie vom Ansatz her bestenfalls aus dem Baumarkt kennen …

… wie bitte?

Die Parfümerie-Mitarbeiter erfassen mit einem Scanner den Hauttyp der Kundin und mischen ihr ein völlig individuelles Make-up anschließend vor Ort. Vom Prinzip wie das gängige Farbenmischen – nur eben auf Basis von Daten und moderner Technologie mit mehr als 600 möglichen Variationen. Gegenüber den 10 bis 20 Standard-Nuancen die wir heute meistens anbieten ist dies eine kleine Revolution.

Wenn man diese Beispiele hört, kann man dann sagen, dass sie als CDO Brücken schlagen?

Exakt, als CDO verbindet man das Marketing mit der Technologie, aber immer auf Grundlage valider Dateninsights. So wie wir es auch weltweit immer wieder an tollen Beispielen zeigen, können daraus die faszinierendsten Apps, Produkte oder Wettbewerbsvorteile entstehen. Grundvoraussetzung dafür ist ein digitales Denken und die Freude an Innovationen. Und wenn ich auf diese Weise die Menschen in unseren Unternehmen für das Digitale begeistern kann, dann mache ich meinen Job richtig.